Nach dieser Erde II
Als ich im Oktober 2021 das Crowd-Kanon-Projekt „Nach dieser Erde“ startete, hätte ich nicht gedacht, dass der dafür verwendete deutsche Text (Gerd Kern) durch die aktuellen Kriegsereignisse so kurze Zeit später eine solch hochaktuelle Relevanz erhalten würde. Vielleicht konnte man damals die von mir angesprochenen Atomwaffenproblematik noch irgendwie unter „jaja, gibt es noch“ verdrängen. Diese ist nun wieder in den Fokus unserer Aufmerksamkeit geraten, und das ist auch gut so. Es schließt sich der Kreis zur Friedensbewegung der 1980er Jahre, in der der Text dieses Kanons entstand.
An dieser Stelle eine kurze Bemerkung: „Friedens“aktionen, die auf Feindbildern basieren, dienen nicht dem Frieden.
Es gibt keinen Weg zum Frieden, Frieden ist der Weg.
(Gandhi)
Aber zurück zum Crowd-Kanon-Projekt.
Die Resonanz war überraschend… verhalten. Ich hatte damit gerechnet, in kurzer Zeit viele Beiträge zugesandt zu bekommen, und mir schon Gedanken gemacht, ob ich es wohl schaffen würde, sie zeitnah zu bearbeiten. Es gab sogar schon Pläne für die Übersetzung des deutschen Texts in viele andere Sprachen und die Produktion entsprechender Crowd-Videos.
Bis Ende 2021 waren jedoch nur eine Handvoll Einsendungen bei mir eingetroffen. Vielleicht waren die technischen Hürden für die Erstellung der Audio-/Videobeiträge zu hoch? Falls ja, bitte ich um Nachsicht. Manchmal verliere ich als technikbegabter IT-Profi ein wenig das Gefühl dafür, was einfach ist und was nicht.
Eines Winterabends improvisierte ich nach einem Livestream noch ein wenig auf meinem Harmonium über die Akkorde und Harmonien dieses Kanons („By the Waters of Babylon“ von Philip Hayes (1738-1797)). Allmählich spürte ich dabei, wie sich eine tiefe, sehr tiefe Traurigkeit in mir ausbreitete. Irgendwann brach mir die Stimme weg, Tränen liefen mir über die Wangen und eine tiefe Verzweiflung über den Zustand unserer Welt, unserer Mutter Erde, erfasste mich. Eine intensive, langanhaltende Welle. Ich spielte und sang einfach immer weiter, bis sie irgendwann durch mich hindurchgeflossen war und mich sanft am Ufer absetzte, nass von Tränen und verschwitzt, aber erheblich leichteren Gemüts. Puh.
Ich hatte mein Recording-Equipment noch laufen und dadurch anschließend eine Aufnahme dieser Improvisation. Erst wollte ich sie löschen, weil ich beim späteren Anhören fand, dass sie emotional einfach zu heftig war, und musikalisch weit entfernt von „sauber gesungen“. Andererseits war sie so authentisch wie sie nur sein konnte. Ich ließ sie ein paar Wochen ruhen, und dann kam mir eine Idee.
Weil für das Crowd-Kanon-Projekt so wenig Material vorlag, entschloss ich mich, dem Projekt einen anderen Charakter zu geben, einen sehr viel persönlicheren und intimeren.
Ich kombinierte Teile meiner Improvisation mit den Gesangsaufnahmen für den Kanon. So entstand ein dreiteiliges Stück. Als ich das für das Video mit einer sich drehenden Weltkugel visualisierte, stellte sich plötzlich vor meinem inneren Auge ein Bild von Pachamama ein, ein Gemälde von José Garcia Chibbaro. Dies verwendete ich für den letzten, vergleichsweise optimistischen Teil. In meiner Wahrnehmung entsteht dadurch eine sehr viel intensivere Energie, die mich tief berührt. Was immer mich da beschenkt hat, ich bin zutiefst dankbar und gebe es weiter.
Auch das fertige Video ließ ich wieder eine Weile ruhen und überlegte lange, ob ich es überhaupt veröffentlichen sollte. Es ist mein bisher vielleicht persönlichstes, und ich zeige mich da emotional praktisch nackt.
Aber so ist es, schmerzhaft authentisch. „Hoffnung kommt nicht vor der Trauer“ textete der Liedermacher Stephan Krawczyk in dunklen DDR-Tagen.
Und Neil Young kündigte einst eins seiner Lieder an mit: „This is a song that’s guaranteed to bring you right down. It’s called ‚Don’t let it bring you down‘.“ 😉
Allen, die ihren Gesang beigesteuert haben, meinen herzlichsten Dank! ♥